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11. Die Reise beginnt...
- Die Gliederung eines Flusslaufes
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Hier am Fuß des Ohmgebirges in Thüringen sammelt sich
in einem Wäldchen ein Rinnsaal, das sich zur Leine entwickelt.
Quelle: Ralf Strobach
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Wer hat sie nicht gerne gebaut: Papierschiffchen. Für die Badewanne, den Teich, den Maschsee. Steigen
wir in ein Schiff ein und erleben wir eine Reise. Eine Reise auf einem Fluss.
Die Fahrt beginnt: Und gleich der erste Abschnitt verläuft sehr turbulent. Denn Flüsse entspringen
oft in regenreichen Gebirgen und müssen daher große Höhenunterschiede überwinden.
Deswegen geht es ganz schön bergab und das Wasser fließt sehr schnell. Bei solch einer Wildwasserfahrt
muss unser Schiff aufpassen, dass es die Wellen und kleinen Wasserfälle ohne umzukippen übersteht.
Immerhin fließt der Bach wegen der starken Strömung recht gerade und nicht auch noch in Kurven,
bei denen man aufpassen müsste.
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500 Meter weiter: Ein Bach namens Leine.
Quelle: Ralf Strobach
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Vorsicht: Der Bach ist nicht besonders breit und an beiden Ufern dicht mit Pflanzen bewachsen, in denen das
Schiff leicht hängen bleiben kann. Aber dafür gibt es fast keine Wasserpflanzen, die Probleme machen
könnten, weil die Ufervegetation fast das ganze Flussbett beschattet und Pflanzen im Wasser bei wenig
Licht kaum gedeihen können. Wegen des Schattens und dem Ursprung des Bachs im Gebirge ist das Wasser
auch im Sommer nur um die 10°C warm. Und durch das klare Wasser hindurch kann man den von unzähligen
kleinen und großen Steinen übersäten Flussgrund gut erkennen. Wenn das Schiff schließlich
auch diesen Steinen, vor allem an den vielen flachen Stellen, sicher ausgewichen ist, ohne auf Grund zu laufen,
hat es den Oberlauf als ersten großen Abschnitt eines Flusses heile überstanden.
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Kurven statt geradeaus!
Im zweiten großen Abschnitt, dem Mittellauf, nimmt das Gefälle des Flusses ab und seine
Strömung ist deswegen gleichmäßiger und geringer. Die schwächere Strömung und
die größere Wassermenge, die der Fluss nun transportiert, führen dazu, dass er sich
allmählich eher in Kurven durch die Landschaft schlängelt als schnurgerade zu fließen.
Diese Kurven werden als Mäander bezeichnet. Aus der Perspektive unseres Schiffs, das zum Beispiel gerade
einer Linkskurve folgt, wirkt das rechte Ufer wie eine steile Klippe, von denen sich das Schiff natürlich
möglichst fernhalten sollte. Dieser Prallhang entsteht an der Außenseite einer Flusskurve, wenn ein
Uferbereich aus einem lockeren Boden besteht. Dann wird vom Wasser Erde abgetragen und mitgeschleppt, so dass
der Fluss sein Bett an dieser Stelle ausweitet. Weiter flussabwärts lagert sich das mitgeschleppte Material
an Stellen mit besonders ruhigem Wasser wieder ab und füllt das Flussbett entsprechend auf. Es entstehen
also an den Innenseiten der Kurven - bei geringerer Strömung - Sand- und Kiesbänke, die sogenannten
Gleithänge. Das Schiff nimmt die Gleithänge als schöne, flache Sandstrände wahr, denen es
aber auch nicht zu nah kommen darf, damit es nicht auf Grund läuft.
Interessanterweise könnte dieselbe Linkskurve, in der sich unser Schiff jetzt gerade befindet für
ein zweites Schiff ganz anders aussehen, wenn man es Jahre später losschickt. Denn das ständig
arbeitende Flusswasser baut seine Mäander immer weiter aus. Allmählich rücken die Flussschleifen
näher und näher zusammen bis der Fluss irgendwann durchbricht und sich wieder geradere Laufformen sucht.
Der abgeschnürte Teil des bisherigen Flussbettes bleibt als sogenannter Altarm, eine Art langgestreckter See
neben dem neuen Flusslauf erhalten. Altarme können auch bei Hochwasser entstehen, wenn der Fluss seine
nachfolgenden Flussschlingen mit überschwemmt. Beim Abfließen des Hochwassers kann es dann passieren,
dass er sich nicht wieder in sein altes, kurvenreiches Bett zurückzieht, sondern direkt entlang des
Gefälles gerade abfließt. Einmal entstandene Mäander sind also keineswegs von Dauer und die
umliegende Landschaft wird vom Fluss ständig geformt und umgestaltet.
Ruhe vor dem Meer
Wenn sich das Gefälle des Flusslaufes noch weiter verringert und das Wasser langsam dahinfließt,
hat unser Schiff den letzten großen Flussabschnitt, den Unterlauf erreicht. Hier kann es seine Reise nun
wirklich gemächlich angehen lassen. Die geringe Fließgeschwindigkeit lässt dem Wasser Zeit,
sich zu erwärmen. Mit seiner beachtlichen Breite wird der Fluss kaum mehr von umliegenden Pflanzen beschattet
und ist im Gegenzug der Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Beides führt dazu, dass die Temperatur des Wassers
stromabwärts steigt. Starke Temperaturschwankungen von über 20°C zwischen Sommer und Winter sind keine
Seltenheit.
Im ruhigen Wasser sinkt auch langsam der größte Teil des bisher mitgeschwemmten Materials zum
Flussgrund. Das betrifft vor allem feine Sedimente wie Sand oder Lehm, weil die gröberen Stoffe wie
Kiesel wegen ihres größeren Gewichts meist schon vorher abgelagert wurden. Wegen der Sonneneinstrahlung
können nun auch Wasserpflanzen gedeihen und unser Schiff muss aufpassen, dass es sich nicht verheddert.
Insgesamt wirkt das Wasser mit dem feinen Material, den Algen und anderen Schwebstoffen, im Unterlauf viel trüber
als im Mittel- oder Oberlauf.
Die Mündung ins Meer rückt näher und die Reise unseres Schiffs neigt sich dem Ende zu. Zum Schluss
wird es aber noch einmal interessant: Denn im Bereich der Mündung vermischt sich das Süßwasser des
Flusses mit dem Salzwasser des Meeres, das unterstützt von den Gezeiten teilweise bis weit in den Flusslauf
vordringen kann. Diese Wassermischung wird Brackwasser genannt. Nur wenige Tiere sind dem schwachen Salzgehalt
des Brackwassers angepasst, so dass sich hier eine Artenzusammensetzung ausbilden kann, die nirgendwo sonst im
Flusslauf vorkommt. Nach diesem Abschnitt ist das Meer erreicht. Aber mit ein bisschen Glück findet sich
vielleicht eine Meeresströmung, die die Reise des Schiffs zu einem unbekannten Ziel fortsetzen kann...
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Keine klare Gliederung bei der Leine
Das Gefälle, der Boden, das Klima und andere Bedingungen, die einen Fluss beeinflussen, sind zu
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In Leinefelde: Die Leine fließt
im künstlichen Kiesbett durch die Stadt.
Quelle: Ralf Strobach
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vielfältig, als dass sich jeder Fluss einfach in die beschriebene Dreiteilung in Ober- Mittel- und Unterlauf
einteilen ließe. Auch für die Leine muss das Schema abgewandelt werden:
So lässt sich der Oberlauf noch recht eindeutig festlegen. Die Leine entspringt nicht in einem
Hochgebirge sondern am Fuße des Thüringischen Ohmgebirges. Dadurch ist das Anfangsgefälle
bei weitem nicht so stark und eine weitere Verringerung des Gefälles kann nicht als Beginn des Mittellaufes
definiert werden. Stattdessen wird die Flusseinteilung anhand des Vorkommens von charakteristischen Fischarten
vorgenommen. Demnach erstreckt sich der Oberlauf der Leine von der Quelle bis etwa zur Einmündung der Rhume
bei Northeim.
Bei den beiden übrigen Flussabschnitten ergibt sich jedoch eine Besonderheit: Durch die relativ kurze
Fließstrecke der Leine von 241 km münden nur wenige andere Flüsse in die Leine. Sie transportiert
daher vor ihrer Mündung auch weit weniger Wasser als in einem Fluss mit mehreren Zuflüssen üblich.
Unter anderem dadurch kommt es nicht zu einer eindeutigen Abgrenzung von Mittel- und Unterlauf. Gerade ein
markanter Unterlauf fehlt weitgehend, zumal die Leine als Nebenfluss der Aller nicht ins Meer mündet.
Das leicht salzhaltige Brackwasser und dessen typische Tier- und Pflanzenwelt als Merkmal des Unterlaufes
kommt in der Leine also nicht vor. Zusätzlich hat der Mensch mit Begradigungen und Dämmen oder
Schleusen die Gewässereigenschaften verändert und angeglichen, so dass sich Mittel- und Unterlauf
bei der Leine nicht mehr trennen lassen. Die charakteristischen Fischarten unterstreichen die Abweichung
von der klassischen oben beschriebenen Flussgliederung zusätzlich: So kommen die Barbe als typischer
Fisch des Mittellaufes und die Brasse, ein typischer Fisch des Unterlaufes, in der Leine von Northeim bis
zu ihrer Mündung gemeinsam vor. Diese Kombination von Mittel- und Unterlauf bei der Leine spielt in
der Tier- und Pflanzenwelt eine wichtige Rolle.
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