|
13. Wie die Pille die Wasserqualität beeinflusst
- Wie naturnah ist eine Fluss?
Was hat die Anti-Baby-Pille mit der Wasserqualität in Flüssen zu tun? Nun ja, unter anderem
trägt die Pille zu Berichten bei, die man eigentlich eher im Bereich von Gentechnik-Thrillern vermutet
hätte. So sind in Flüssen Englands unterhalb von Kläranlagen 1994 junge Männchen der
Regenbogenforellen entdeckt worden, die in unterschiedlichen Ausmaßen "verweiblicht" waren.
Man fand bei diesen Tiere zum Beispiel verkleinerte männliche und im Gegenzug Teile der weiblichen
Geschlechtsorgane, in manchen Fällen sogar weibliche Eizellen. Solche Fehlentwicklungen führt
man darauf zurück, dass im Wasser erhöhte Konzentrationen von Östrogenen, also weiblichen
Hormonen, gefunden wurden. Diese Hormone stammten mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Anti-Baby-Pillen
von Millionen englischer Frauen. Die Rückstände der Medikamente wurden mit dem Urin ausgeschieden
und gelangten über das Abwasser und durch die Kläranlagen hindurch in die Flüsse, denn die
Rückstände aus den Medikamenten werden in der Kläranlage nicht beseitigt. Einmal im Flusswasser
gelandet, werden sie von den dort lebenden Tieren und Pflanzen aufgenommen. Das ist weder ein Einzelfall,
noch beschränken sich die Missbildungen ausschließlich auf Fische. Laut einer US-Studie lässt
auch das Unkrautvernichtungsmittel Atrazin Frösche verweiblichen. Atrazin wird seit 40 Jahren in rund 80
Ländern weltweit verwendet, in Deutschland ist es seit 1991 verboten.
Kleintiere bestimmen die Gewässergüte
Zur Beurteilung der Gewässergüte gibt es mehrere Themengebiete, die einzeln untersucht werden. Die
Verschmutzung des Gewässers mit Schadstoffen wie den genannten Hormonen oder Umweltgiften wird in der
chemischen Gewässergüte analysiert. Entnommene Wasserproben geben Auskunft über die
Art und Konzentration von Schadstoffen, was wiederum anzeigt, wie stark sich die Lebensbedingungen für
die Organismen dadurch verschlechtert haben.
Für die Bestimmung der biologischen Gewässergüte werden sogenannte "Bio-Indikatoren"
benutzt. Das sind mit dem bloßen Auge erkenn- und bestimmbare Kleintiere, die anhand ihrer speziellen
Lebensraumansprüche, die sie über Jahrmillionen entwickelt haben, Auskunft über die Eigenschaften
(Qualität) des Wassers geben. Da sie auf einen ganz bestimmten Sauerstoffgehalt angewiesen sind, kann aus
deren Vorkommen und der Häufigkeit auf die Güte des Gewässers geschlossen werden.
Hierbei gilt das Prinzip "Je mehr, desto besser" aber nur eingeschränkt: Je mehr Sauerstoff, desto
reicher ist zwar in der Regel die Artenvielfalt, ein etwas niedrigerer Sauerstoffgehalt tritt aber auch in
völlig naturbelassenen Flüssen auf. Das hat mehrere Gründe: Zum einen herrschen in flachem
Gelände weniger Wasserbewegungen und Turbulenzen vor, wodurch sich weniger Sauerstoff im Wasser lösen
kann. Auch eine höhere Wassertemperatur wie z.B. durch geringere Verschattung des Wassers im Unterlauf
führt zu einem niedrigeren Sauerstoffgehalt. Und: Es gibt im Mittel- und Unterlauf bereits höhere
Konzentrationen von Nährstoffen im Wasser, wodurch vermehrt Algen und andere Wasserpflanzen wachsen
können. Nach ihrem Absterben verbrauchen die Mikroorganismen des Flusswassers bei der Zersetzung große
Mengen Sauerstoff, der dem Flusswasser entzogen wird. Solange keine Massenvermehrung von Pflanzen
stattfindet und sich damit die Menge des zu zersetzenden Materials und der Sauerstoffverbrauch in Grenzen
halten, sind Abbauprozesse Teil eines funktionierenden Ökosystems. Demnach wird der Sauerstoffgehalt
auch an keinem allgemeingültigen, optimalen Wert gemessen, sondern sollte vielmehr für den
jeweiligen Flussabschnitt typisch sein.
Aber für Tiere und Pflanzen im und am Fluss sind nicht nur Schadstoff- und Sauerstoffgehalt wichtig.
Denn was nützt sauberes Wasser ohne einen abwechselungsreichen Lebensraum, der Nahrung und Unterschlupf
bietet? Deswegen beurteilt die Gewässergüte auch den Verlauf eines Flusses durch die Landschaft und
den Zustand seines Flussbettes. Solche Strukturen im Wasser werden in der morphologischen
Gewässergüte oder auch unter dem Begriff Strukturgüte zusammengefasst. Fachleute
gehen zur Bewertung der Strukturgüte am Ufer des Gewässers entlang und schätzen ein, wie
stark Ufer, Flussbett und Flusslauf von den natürlichen Formen abweichen. So sind für den Oberlauf
wegen des stärkeren Gefälles eher gerade, für den Mittel- und Unterlauf eher geschwungene,
mäandrierende Laufformen typisch.
Die Laufformen sind wiederum dafür ausschlaggebend, dass sich im Flussbett die natürlichen Strukturen
ausbilden können. In einem mäandrierenden Fluss finden Tiere beispielsweise strömendes Wasser
und steile Ufer an den Außenseiten einer Flusskurve, dem Prallhang, vor. Aber genauso stehen ruhiges
Wasser und flache Ufer an den Kurveninnenseiten, dem Gleithang, zur Verfügung. Weitere Strukturen wie
Tiefenrinnen oder Sand- und Kiesbänke erweitern das Angebot an unterschiedlichen Lebensräumen, die
die Grundlage einer reichen Artenvielfalt bilden.
Zu einer sehr schlechten morphologischen Gewässergüte führen dagegen Uferbefestigungen aus
Steinquadern, Flussbetten aus Betonschalen und lange, gleichförmig verbaute Abschnitte des Flusses.
Über weite Strecken ähneln sich die Lebensbedingungen so stark, dass sich nur noch wenige Tiere
und Pflanzen wohl fühlen, die dann aber oft zu Massenvermehrung neigen.
Güteklassen und Einordnung der Leine
Insgesamt führen die Ergebnisse der Gewässeruntersuchung zu einer Gesamtbewertung, nach der ein Fluss
in eine Güteklasse eingestuft wird. Es gibt vier Hauptklassen I, II, III, IV und die jeweiligen
Zwischenstufen I-II, II-III u.s.w., von denen hier nur die auf die Leine zutreffenden Klassen näher
beschrieben werden sollen:
Die Leine schwankt zwischen den Güteklassen II mäßig belastet und II-III kritisch belastet.
Die Güteklasse II "mäßig belastet" beinhaltet eine gute
Sauerstoffversorgung des Flusswassers und das Vorkommen sehr vieler verschiedener Arten von Algen,
Schnecken, Kleinkrebsen und Insektenlarven. Wasserpflanzen bedecken hier häufiger große Flächen
und das Gewässer gilt in diesen Abschnitten als fischreich. Flüsse weisen von Natur aus fast immer
diese Gewässergüte auf, d. h. auch ohne Einfluss des Menschen würden die Fließgewässer
aufgrund der natürlichen Nährstoffeinträge (z. B. über Laub) und der relativ geringen
Fließgeschwindigkeit mäßig belastet sein. Nur in den Quellbereichen und im Hochgebirge
erreichen Flüsse die Güteklasse I.
Als Indikator der Güteklasse II gelten z.B. Flohkrebse, Strudelwürmer, Posthorn- und
Flussnapfschnecken, runde Eintagsfliegenlarven und Köcherfliegenlarven.
|
|
Die Zwischenstufe II-III mit der Bezeichnung "kritisch belastet" zeigt dagegen schon eine
schlechtere Wasserqualität an. Hier ist der Fluss bereits mit organischem Material belastet, bei
dessen Zersetzung viel Sauerstoff verbraucht wird. Dies kann teilweise zu Fischsterben führen, weil
den Fischen nicht mehr genug Sauerstoff zum Atmen bleibt. Insgesamt leben weniger verschiedene Tier- und
Pflanzenarten im Wasser, von denen allerdings einige wenige Arten wiederum so gut mit den Belastungen
klarkommen, dass sie zur Massenvermehrung neigen. Auch größere Algenteppiche sind häufiger
zu beobachten. Als Indikator gelten z.B. die Eiförmige Schlammschnecke, die Langfühlerige
Schnauzenschnecke, der zweiäugige Plattegel oder der Flußflohkrebs.
Von ihrer Quelle bis Heiligenstadt ist die Leine "kritisch belastet" (Güteklasse II-III), kann sich dann
aber bis Göttingen zur Klasse "mäßig belastet" (Güteklasse II) regenerieren. Hinter Göttingen
folgt dann noch einmal für eine Strecke von ca. 5 km die Eingruppierung in "kritisch belastet" (II-III),
bevor die Leine dann wieder als "mäßig belastet" (II) eingestuft werden muss. Erst im Innenstadtbereich von Hannover
bis etwa Herrenhausen fällt die Gewässergüte wieder auf "kritisch belastet" (II-III). Ursachen
dafür sind belastete Zuflüsse aus der Mischwasserkanalisation. Wegen der Sauerstoffzufuhr über
das Wehr in Herrenhausen verbessert sich die Qualität auf "mäßig belastet" (II). Erst unterhalb
der Kläranlage Herrenhausen muss die Leine wieder als "kritisch belastet" (II-III) gelten. So bleibt es
im Wesentlichen bis zur Mündung in die Aller.
Die Gewässergütekarte für Hannover können Sie sich hier ansehen und herunterladen.
|